Ein persönlicher Erfahrungsbericht
Text Stefan Gatt
Kennst du Situationen in deinem Leben, wo du dich so richtig lebendig und frei gefühlt hast, wo du „lachen, tanzen, singen und rearn“ (Liedtext von STS) konntest? Ist das nicht die Qualität, nach der wir uns alle sehnen? Das Leben in vollen Zügen zu genießen, dabei tiefe Gefühle zu spüren und über diese Gefühle mit der Partnerin reden zu können? Für mich ist es jedenfalls so, auch wenn das nicht immer so war.
Ich kann mich an Zeiten erinnern, in denen ich teilweise selbst sprachlos war. Es erschien mir beinahe unmöglich, über Gefühle und/oder unangenehme Themen zu sprechen, und meine Frau Elisabeth musste mir alles aus der Nase ziehen. Dass dies zu Konflikten führte, kann sich jede/r vorstellen!
In dieser Zeit fühlte ich mich inkompetent und überfordert, bis ich irgendwann die Entscheidung traf, dies zu ändern. Im Laufe der Zeit musste ich feststellen, dass ich von meinen Eltern, insbesondere meinem Vater, mehr (Schutz-) Muster übernommen habe, als mir heute lieb ist. Erst ein tiefgehender Selbsterfahrungsprozess ermöglichte es mir, die Prägungen des „typischen Mannes“ zu entlarven.
Mit einigen Mustern kämpfe ich noch heute. Meine Frau und meine Töchter sind mir immer wieder der perfekte Spiegel, wie gut ich mein neues Selbst in mein Leben integriert habe.
Ein Teil der Lösung meiner Sprachlosigkeit war es, dahinter zu kommen, woher diese Prägungen denn stammten. Als ich mich auf die Suche nach dem Warum machte, erkannte ich mehrere Aspekte und will an dieser Stelle drei herausstreichen:
1. Seit Jahrhunderten wurden und werden (leider heute immer noch) viele junge Männer für den Krieg sozialisiert. Zur Ausübung der Funktion als Soldat waren und sind „weiche“ Gefühle wie Zärtlichkeit, Berührbarkeit, Trauer, Sanftheit, Hilflosigkeit, Zugewandtheit, Neugier, Verbindung, etc. nicht sinnvoll. Stattdessen wurden und werden die Männer auf Aggression, Wut, Gehorsam, Härte, Durchhaltevermögen, Feinseligkeit, Distanz, Hass, Zorn etc. getrimmt.
2. Auch wenn heute in Österreich nur mehr wenige Männer für den Krieg sozialisiert werden, wirken diese alten Rollenbilder noch immer in unserer Gesellschaft und prägen das Männerbild. Durch die Zuwanderung von Männern, die ihre Heimat auf Grund kriegerischer Auseinandersetzungen, Hunger oder Armut verlassen mussten, erleben solch antiquierte Rollenbilder jedoch ein Revival. Diese wuchsen oft, um dieses Elend ertragen zu können, ebenfalls in einem Feld auf, in dem es kaum Platz für Befindlichkeiten gab. Um emotional überleben zu können, mussten traumatische und unangenehme Gefühle verdrängt werden.
3. Mit dem Beginn der industriellen Revolution und dem Verbreiten von neoliberalistischem Gedankengut haben sich die Väter aus dem Leben ihrer Söhne zunehmend entfernt, wodurch die Orientierungslosigkeit der Männer deutlich zugenommen hat. Der Durchschnittsvater verbringt auch heute noch sehr wenig Zeit mit seinen Söhnen. Die dadurch bei vielen Männern entstandene Perspektiven- und Sprachlosigkeit, was Gefühle betrifft, wird oft durch destruktives und extremes Verhalten kompensiert. Ein guter Nährboden für die Entstehung von Suchterkrankungen, überbordendem Konsumverhalten und der Chance, im Burnout zu versinken, wird dadurch geschaffen.
Glücklicherweise gibt es immer mehr Ausnahmen. So hat die Zahl der Männer, die sich karenzieren lassen, um mehr Zeit mit ihren Kindern zu verbringen, in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Nach wie vor haben viele Männer bereits als Buben gelernt, Gefühle wie Schmerz, Trauer und andere „unmännliche Gefühle“ zu unterdrücken. Wir lernen, weiterhin Leistung zu erbringen, obwohl es schmerzt. Das Leugnen dieser Emotionen hilft, uns in den gesellschaftlichen Konventionen zu bewegen. Dadurch verlieren wir aber den Zugang zu unseren Gefühlen.
Prägungen wirken, so lange sie unbewusst bleiben
Solche Prägungen und Rollenbilder wirken in uns so lange, bis wir dafür die volle Verantwortung übernehmen und uns auf die Suche machen nach Antworten auf die Fragen: „Wer will ich sein? Was will ich in mein Leben bringen und wie möchte ich dieses leben?“ So haben wir die Chance, die unbewusste Weitergabe unseres „Rucksacks der Prägungen“ zu beenden.
Dass dies in meinem Prozess eine Tour de Force war und teilweise immer noch ist, liegt auf der Hand. Diese Reise war und ist für mich persönlich immer wieder extrem herausfordernd, angsteinflößend, verunsichernd und schockierend. Als ich begann, mich mit meinen Schattenanteilen auseinanderzusetzen, brauchte ich sehr viel Mut. Auf meine dunklen und destruktiven Seiten zu fokussieren, deren Wirkung in voller Stärke zu spüren, mir ihrer bewusst zu werden und sie damit langsam zu entmachten, gehört zu den besten Entscheidungen meines Lebens. Ich bin heute sehr froh, langfristig in eine Psychotherapie und nicht in materielle Güter investiert zu haben.
Im Seminar „Die Rückkehr des Königs“, das ich gemeinsam mit meinem Freund und Kollegen Helmut Andraschko durchführe, hören wir immer wieder von Männern, dass sie die Fähigkeit verloren haben, von ihrem Herzen und über ihre Gefühle zu sprechen, oder dass sie sogar die Verbindung zu ihrem Herzen und damit die Verbindung zu ihren Gefühlen verloren haben.
Wenn uns manche Männer erzählen, dass ihnen – z. B. von den Eltern – die Verbindung zu ihren Gefühlen „genommen wurde“ und sie demgegenüber machtlos sind, stellen sie sich als Opfer dar, die sie aber nicht sind. Als erwachsene Menschen haben wir fast immer die Möglichkeit zu entscheiden, ob wir unsere Prägungen akzeptieren oder an ihnen arbeiten wollen.
Wenn ich nur meine Kraft und Stärke als Mann nach außen hin zur Schau stelle, weiß ich, dass ich mich (meist in einer Reihe von kleinen Mikroentscheidungen) dafür entscheide, mein Herz nicht zu spüren: mich meiner Partnerin oder meinem Partner mit meinen Gefühlen nicht mehr zumute, diese negiere oder unterdrücke.
Warum? Weil unsere Muster und Rollenbilder wirken und wir uns in diesen Fakebildern sicherer fühlen als in einem Zustand der Offenheit und Verletzlichkeit.
Was uns Männern dabei aber klar sein muss, ist, dass wir uns damit von unserer Lebendigkeit distanzieren oder sogar abschneiden. Wenn ich meine Gefühle nicht wahrnehme, werde ich zu einer Art Zombie. Ich kann zwar leistungsorientiert agieren und Erfolge einfahren, aber die Freude darüber, die Verbindung mit den Menschen, die Begeisterung kann ich nicht mehr (in der ganzen Fülle) wahrnehmen. Jedoch genau darum geht es (aus meiner Sicht) im Leben!
So wie die Austropopgruppe STS es formuliert hat: „Ich mecht lachen, tanzen, singen und rean´. Angst und Schmerzen soll´n mi wieder wiargn und die Liebe mecht I bis in die Zechnspitzn g´spiarn!“
Die neoliberalen Ziel- und Trugbilder Besitz, Macht oder außergewöhnliche Urlaube machen uns zu Arbeitssklaven. Wenn wir jedoch unsere Lebendigkeit ausdrücken (können), fließt unsere Energie, und tiefe Freude und Glück stellen sich ein.
Hoffnung auf ein neues Männerbild
Als ich vor einigen Monaten mit meiner Frau in einem Actionfilm im Kino war, wurde mir einiges über Männer bewusst, während Dwayne Johnson wieder einmal die Welt rettete! Beim Blick ins Publikum fiel mir auf, dass eine Mehrzahl der männlichen Besucher deutlich größere Muskeln hatte als der durchschnittliche Österreicher. Da wir uns am Verhalten unserer Mitmenschen und an Vorbildern orientieren, zog der Film offensichtlich überdurchschnittlich viele Kraftsportler ins Kino. Darüber hinaus vermittelte der Kinostreifen einerseits die alten Werte (Fels in der Brandung, Kraft, Durchsetzungsstärke, Ausdauer etc.), andererseits aber auch die neuen Werte des modernen Mannes (wie Familie, starke Frauen, Schutz der Kinder, Weichheit, Kooperation und eine Mutterfigur, die ein Machtwort spricht, das von den starken Männern akzeptiert wird). In diesem Genre sind das völlig neue Aspekte, die hier transportiert werden, welche mir Hoffnung geben, dass das alte Bild des Mannes aus Zeiten von John Wayne, Rambo etc. langsam ausgedient hat.
Hohe Anforderungen an den Mann von heute
Die Anforderungen an einen Mann sind heutzutage im Vergleich zu unserer Vätergeneration stark gewachsen. Viele moderne Männer meinen nach wie vor, sie müssen immer noch die alten Rollenbilder bedienen und der Fels in der Brandung sein, für die finanziellen Ressourcen sorgen, stark sein, beschützen … und zusätzlich geht es darum, dass sie mit ihrer Partnerin reden, Gefühle zeigen und im
richtigen Moment weich und präsent sind, im Haushalt ihre 50% leisten, liebevolle Papas sind und Zeit für den Nachwuchs haben, ihren Freundeskreis nicht vernachlässigen und ihre Partnerin abends immer wieder ausführen. Dass sie sich dabei überfordert und orientierungslos fühlen, ist verständlich. Um mit den vielfältigen Herausforderungen als Mann besser umgehen zu können und die gewünschten weichen Seiten wieder zu entdecken, haben wir auch unser Seminar „Die Rückkehr des Königs“ entwickelt. Für viele Männer ist das eine Initialzündung hin zu einer Beziehung mit mehr Lebendigkeit. Immer wieder berichten mir Männer hinterher, dass sie sich wieder mit ihrer Partnerin austauschen und ihre Gefühle in Worte fassen können. Sie sprechen wieder von ihren Gefühlen der Überforderung oder von ihrer Angst zu scheitern.
In einer sich offenbar immer schneller drehenden Berufswelt geben uns (die meist männlich konnotierten) Kompetenzen Zielorientierung, Umsetzungsstärke und Fokussierung ein wenig Sicherheit. Bei Beziehungsthemen führen diese Kompetenzen aber meist zu Problemen, weil es für Verbindung in erster Linie Entspannung, Hingabe und Geduld braucht.
Auch hier geht es um die Erweiterung der Kompetenzen für mich als Mann: Maximale Ehrlichkeit hinsichtlich meiner Gedanken, meiner Gefühle und meiner Sichtweisen helfen mir dabei, in Verbindung mit meiner Partnerin zu kommen.
DownloadVertraue auf deine innere Weisheit, dass dir die richtigen Worte in den Sinn kommen, wenn du diese Satzanfänge vervollständigst. Vielleicht hilft es dir auch, wenn du vor einem Gespräch mit deiner Partner*in diesen Prozess für dich verschriftlichst.
„Was ich als Mann im Zusammenleben mit dir liebe / schätze, ist …“
„Was mich derzeit in meinem Leben beschäftigt / belastet, ist …“
„Wenn ich dir das erzähle, entsteht in mir ein Gefühl von …“
„Was für mich als Mann in meinem Leben herausfordernd / schwierig ist …“
„Mein Rollenbild als Mann, das mich durchs Leben begleitet …“
„Was mir wichtig ist als Mann / als dein Partner / als der Vater von unseren Kindern ist …“
„Wenn ich wirklich ehrlich bin, dann möchte ich dir Folgendes über mich erzählen …“
„Was es mir schwierig macht, mit dir über mich / über meine Gefühle / über meine verborgenen Seiten zu sprechen, ist …“
Für Männer gibt es nächstes Jahr drei Seminare, die wir Euch sehr ans Herz legen können und für die es auch wieder Geschenksgutscheine für Weihnachten gibt.
„Die Rückkehr des Königs“ 14. -18. April 2021 in der Nähe von Leoben / Steiermark
„Mein Pfad“ 30. Juni – 4. Juli 2021 in der Umgebung vom Grundlsee / Steiermark
„Reconnect“ 22. – 26. Sep 2021 in der Kreuzeckgruppe / Kärnten
Corona hat unseren Alltag leider immer noch im Griff und das ist auch der Grund, warum wir als Paar derzeit keine Seminare anbieten wollen (um das Risiko für uns und für Euch gering zu halten). Wir machen aber einiges online über Zoom bzw. in unserer Praxis persönlich.
Wenn Ihr Unterstützung braucht, wir sind gerne für Euch da! Schreibt uns einfach eine Mail an:
e.gattiro@challengeoflove.at (Elisabeth) oder office@challengeoflove.at (Stefan) oder ruft uns an unter 0664 – 144 97 46 (Elisabeth) oder 0664 – 210 50 95 (Stefan).
Wir wünschen Euch eine gute Zeit für Euch und alle Eure Lieben, in der Ihr den Herausforderungen gemeinsam begegnet!
Bleibt gesund – mit herzlichen Herbstgrüßen von
Elisabeth & Stefan