TEXT ELISABETH GATT-IRO, STEFAN GATT
Wer möchte das nicht: Sich mit dem/der Partner*in im Bett geborgen, geliebt und angenommen fühlen, Momente des Glücks erleben oder gar in verzückter Ekstase den Kopf verlieren? In der romantischen Phase am Beginn der Beziehung gelingt es vielen Paaren, solche Zustände zu erleben.
Dabei werden auf einer chemischen Ebene die körpereigenen Neurotransmitter Dopamin, Noradrenalin und Serotonin ausgeschüttet, die den Liebesrausch komplettieren (vgl. Helen Fisher 2005). Dieses selbstverständliche Glück hält aber nur so lange, wie sich beide Partner*innen dafür entscheiden, sich zu entwickeln und eine bewusste, achtsame Beziehung leben zu wollen. Denn wenn wir alten Mustern und Dynamiken, die uns in der Kindheit geschützt haben, nicht auf die Spur kommen, werden sie uns in unseren erwachsenen Beziehungen daran hindern, unsere Herzen zu öffnen und unsere Lebendigkeit und sexuelle Lust im Becken und im ganzen Körper zu spüren. Diese Muster blockieren das Erleben erfüllender Sexualität.,
Warum ist das so?
Als Kinder lernen wir sehr rasch, wieviel von unserer Lebendigkeit wir unseren Eltern zumuten können, ohne ihre Liebe zu verlieren. Wir sind abhängig von der Zuwendung unserer Bezugspersonen und es ist überlebensnotwendig für uns, Wärme, Geborgenheit und Nähe durch jene Menschen zu bekommen, die uns am nächsten sind.
Wenn wir in einem Umfeld aufwachsen, das nur bestimmte Aspekte unserer Lebendigkeit bejaht, opfern wir diese zugunsten der lebensnotwendigen Nähe.
Wie ist es möglich, unsere Lebendigkeit zu opfern?
Laut Wilhelm Reich, einem Schüler Freuds und dem Begründer körperorientierter Psychotherapie, beginnen wir, uns körperlich anzuspannen, um schmerzhafte oder bedrohliche Gefühle nicht fühlen zu müssen, und vor allem wird unsere Atmung flach, um zu verhindern, dass wir in Kontakt mit unseren Gefühlen kommen. Dies sind unbewusste Vorgänge, welche ergeben, dass wir später mit chronischen Anspannungen durchs Leben laufen und wenig Zugang zu unseren Gefühlen haben. Damit haben wir zwar ausreichend Schutz, sind aber leider nicht in der Lage, unser volles (orgastisches) Potenzial und unsere Hingabe zu leben.
In der Phase der Verliebtheit helfen uns die oben erwähnten körpereigenen Drogen, uns intensiv lebendig zu fühlen und im Liebesrausch die Verbindung mit der geliebten Person hingebungsvoll genießen zu können. Diese romantische Zeit zeigt uns unser Potenzial und gibt uns eine Ahnung davon, wer wir sein können, wenn wir uns entscheiden, eine bewusste Beziehung zu leben.
Von der romantischen Phase zum Machtkampf
Das Modell der Beziehungsreise von Harville Hendrix macht jedoch deutlich, dass die Phase des Konflikts die romantische Phase ablöst und sich Rechthaberei und Machtansprüche immer wieder nach verliebten Tagen im Paarraum zeigen. Durch die mehr oder weniger offen ausgetragenen Meinungsverschiedenheiten und Verletzungen, die geschehen, einigen wir uns schließlich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Wir passen uns an und unterdrücken unsere Lebendigkeit zugunsten scheinbarer Harmonie.
Dieses Geschehen spiegelt sich dann letztendlich auch im Bett wider. Je weniger Bewusstheit, Offenheit und Differenzierung in einer Partnerschaft möglich sind, desto mehr langweilige Routine und mechanische Pflichterfüllung werden im Bett stattfinden. Mit der Zeit wird vielleicht gar nichts mehr stattfinden. Die Qualität einer Beziehung zeigt sich an der Lebendigkeit des Sexuallebens eines Paares.
Offenheit und Differenzierung
David Schnarch pflegte zu sagen: „Je offener der Geist, desto besser der Sex.“ Wenn ich mich meiner liebsten Person mit dem, was mich antörnt, anvertrauen kann und mich nicht bedeckt halten muss, ist das ein großer Liebes- und Vertrauensbeweis und ein Gradmesser dafür, wie innig unsere Beziehung ist. Wilhelm Reich empfahl, sich während des Liebesspiels in die Augen zu sehen, weil dies die Intimität und erotische Verbindung nährt und die sexuelle Anziehung und Lust steigert. Für viele Paare ist das eine ziemliche Herausforderung, einander mit offenen, liebevollen, lustvollen Augen und Blicken im Bett zu begegnen. Soll dies gelingen, braucht es Offenheit und differenzierte Verbindung – und genau das macht die sexuelle Begegnung erfüllend.
Was bedeutet das konkret?
Zurück zur zweiten Phase der Beziehungsreise: Befinde ich mich im Machtkampf mit meinem/meiner Partner*in, ist unsere Verbindung symbiotisch, denn ich mache mein Verhalten vom Verhalten der anderen Person abhängig. Ich übernehme keine Verantwortung für mich, indem ich der anderen Person vorwerfe: „Wenn du so agierst, kann ich nur so reagieren. Du/dein Verhalten ‚zwingt‘ mich, auf diese Weise zu handeln. Ich bin ja in Wirklichkeit gar nicht so. DU bist so!“
Ich passe mich an, indem ich mich von der Bestätigung durch meinen/meine Partner*in abhängig mache. Ich zeige bestimmte Seiten von mir nicht mehr, weil ich mir Konflikte ersparen möchte. Ich schlucke und verdränge Unangenehmes oder bilde mir ein, sowieso immer Recht zu haben. Er/Sie hatte die schlechtere Kindheit – damit ist klar, wer das Problem hat.
Auf zu Mut-Ausbrüchen!
Dies alles sind perfekte Szenarien, um der persönlichen und damit der Weiterentwicklung als Paar aus dem Weg zu gehen. Dahinter steckt meist die pure Angst, nicht mehr geliebt zu werden, wenn man sich zeigt und verletzlich macht, sowie die Angst, wieder verletzt zu werden. Unsere Kindheit lässt grüßen.
Wir alle könnten viel öfter Mut-Ausbrüche gebrauchen und uns trauen, zu uns zu stehen, unsere Unterschiedlichkeit zu leben, unsere eigenen Farben zu feiern und uns an den Farben und Eigenheiten unseres/unserer Partner*in zu erfreuen, anstatt zu versuchen, ihn/sie zu domestizieren.
Diese Form der Auseinandersetzung und des Sich-Einlassens ist die ideale Voraussetzung für das Fließen der sexuellen Energie und dieser unwiderstehlichen Anziehung, die sich einstellt, wenn wir einander authentisch und offen begegnen und es schaffen, Konflikte auf einer gleichwertigen und ebenbürtigen Ebene zu klären. Wir werden Verbündete in der Unterstützung beim Heilen alter Wunden und tragen zum Erblühen unserer geliebten Person bei.
Imago bietet die Methode des Dialogs, um konstruktiv miteinander zu kommunizieren.
Dazu könnt Ihr Euch z.B. zu den folgenden Satzanfängen austauschen:
- Eine wunderschöne erotische Begegnung mit dir, an die ich mich gerne erinnere, ist …
- Warum ich mich manchmal (im Bett) nicht ganz für dich öffne, ist … (bitte hier differenziert bei sich bleiben und über sich sprechen!)
- Manches Mal schäme ich mich für …
- Was es für mich schön macht, mit dir zu schlafen, ist …
- Bei der Vorstellung, dir während des Sex in die Augen zu sehen, fühle ich mich …
- Und warum das so ist …
- Wie ich gerne mit dir das nächste Mal Sex haben würde …(so detailliert wie möglich)
- Was ich an dir anziehend finde …
- Welches Verhalten von mir sich nicht förderlich auf dein Begehren auswirken könnte …
Laut Naomi Wolf brauchen Frauen Sicherheit, um sich sexuell ganz öffnen und hingeben zu können. Hält der/die Partner*in einer Frau die Gefühle zurück, öffnet sein/ihr Herz nicht für sie, ist mit den Gedanken woanders, gestresst, hat sich noch nie um die Pflege der Beziehung gekümmert, dann braucht er bzw. sie sich nicht wundern, wenn die Frau keinen Sex möchte.
Wolf meint auch, dass eine Frau umso weniger an Sex interessiert ist, je mehr schlechten Sex sie erlebt. Wie oft haben wir in unserer Praxis schon Frauen sagen hören: „Ich lese lieber ein gutes Buch und trinke ein Glas exzellenten Rotwein, da habe ich mehr davon.“ Viele Männer glauben nach wie vor, dass Beziehung – und damit meinen sie meist sexuelle Beziehung – „funktionieren“ muss. Viele Frauen klagen darüber, dass sie die zunehmende Gereiztheit ihres Mannes schon ein bis zwei Tage nach dem letzten sexuellen Beisammensein unglaublich schmerzt und auch nervt, denn damit steigt der Druck, dass „es“ bald wieder „passieren“ sollte. Sie hat die Verantwortung für seine Gereiztheit: Denn wenn sie nur öfter wollte, hätte sie ja den nettesten Mann aller Zeiten an ihrer Seite. Viele Männer begegnen ihren Frauen auf einer ständig bedürftigen Ebene, die nicht männlich anziehend wirkt und es schon gar nicht ist. Manche glauben auch, dass sie ein „Recht“ darauf haben, von der Frau sexuell „versorgt“ zu werden. Aber welche Frau möchte mit einem bedürftigen Kind schlafen?
Andererseits erzählen viele Männer von kritiksüchtigen Frauen, die nur sagen können, was sie alles NICHT wollen, anstatt für ihre Wünsche und Bedürfnisse einzustehen und dafür zu sorgen, dass sie sexuell und auch sonst in der Beziehung das bekommen, was sie möchten. Selbstbewusste Frauen, die sich auf der sexuellen Ebene nicht trauen, die Initiative zu ergreifen, sondern in der angepassten Rolle bleiben. Denen ein geputztes Haus wichtiger ist als eine heiße Liebesnacht. Und die solche Angst um ihre Kinder haben, dass sie diese nicht einmal für einen Tag zur Oma geben wollen. Die nicht zulassen können, dass ihr Mann sich auf seine Art und Weise um die Kinder kümmern möchte, ohne Vorschriften von ihnen.
Möchtest Du den Himmel auf Erden kennen lernen, dann empfehlen wir Dir:
- Sorge gut für Dich, indem Du liebevoll und achtsam mit Dir und Deinem Körper umgehst
- Kümmer Dich um Deine Themen, um die Entwicklung Deines besten Selbst, und übernimm die volle Verantwortung dafür
- Zeige Dich verletzlich
- Differenziere Dich: Ein offenes Herz und ein offener Geist lassen sexuelle Nähe entstehen. Warte nicht darauf, dass Du positiv von Deinem Gegenüber bestätigt wirst, sondern trau Dich, authentisch und verletzlich sichtbar zu werden
- Lass Dich auf Konflikte und Reibung ein und bleibe dabei authentisch, ehrlich und konstruktiv
- Lass Unterschiede stehen und ehre diese. Genau in die Andersartigkeit Deines / Deiner Partner*in hast Du Dich ja verliebt
- Nimm Dir Zeit für die Beziehung und räume ihr oberste Priorität ein
- Werde der/die beste Liebhaber*In für Deinen/Deine Partner*in. Weiß Bescheid über seine/ihre Vorlieben, Wünsche und Fantasien und überwinde dabei Tabus, alte Verletzungen und Schamgefühle
- Nimm Druck aus Eurer Sexualität und begegnet einander offen und erwartungsfrei
- Plane Dates für erotische Rendezvous – und verführt einander
- Mach Dich mit Deinem eigenen Körper vertraut und weiß Bescheid darüber, wie Du erotisch tickst
- Genieße immer wieder die körperliche Liebe mit Dir selbst
- Übernimm Verantwortung für heiße Beziehungsthemen, indem Du offen und konstruktiv darüber sprichst
Naomi Wolf hat bei ihren Forschungen weiters herausgefunden, dass Slow Sex oder tantrische Sexpraktiken Frauen besonders ansprechen, weil sie auf die biologische Gegebenheit eingehen, dass Frauen meist länger als ihre Partner brauchen, um zum Orgasmus zu kommen. Je weniger Erwartung und Druck von Seiten des Partners auf die Frau ausgeübt wird, desto besser kann sie sich entspannen und genießen. Viele Frauen sehnen sich nach solchen liebevollen Begegnungen, bei welchen sich ihre Lust langsam aufbauen kann und die Frau Zeit hat, ihr orgastisches Potenzial kennen zu lernen. Dies fordert natürlich die Männer, sich darin zu üben, entspannt zu bleiben und nicht, wie meist gewohnt, zielorientiert am eigenen Orgasmus zu arbeiten. Unsere Empfehlung: Steige aus dem Stress des Orgasmus-fixierten Sex aus. Sei oder werde Vertrauter und Verbündeter füreinander und entwickle Dich zu Deinem besten Selbst!😊
Wenn Du hingegen NICHT möchtest, dass Du mit Deinem / Deiner Partner*in erfüllende Sexualität lebst, dann empfehlen wir: Lege Verhaltensweisen an den Tag, die sich absolut lusttötend auf das Begehren Deines / Deiner Partner*in auswirken, wie z.B.:
- Bei der kleinsten Kleinigkeit aggressiv oder mit Rückzug/Schweigen/Schmollen reagieren
- Keine Verantwortung für Themen übernehmen, die in der Beziehung auftauchen, sondern davon ausgehen, dass Frauen die Beziehungsarbeit zukommt
- Sich nicht mit den Themen Ihrer Partnerin/Ihres Partners auseinandersetzen
- Möglichst viel sexuellen Druck machen
- Davon ausgehen, dass „es“ im Bett von alleine funktionieren muss
- Möglichst wenig für sich selbst sorgen und möglichst gestresst sein
- Sich selbst wichtig nehmen und nicht in „wir“, sondern in „ich“ denken
- Den / Die Partner*in immer kritisch betrachten und auf Wertschätzung verzichten
- Sich niemals mit weiblicher Sexualität befassen
- Den Job wichtiger nehmen als die Beziehung
- Möglichst viele Pornos konsumieren, die ein absolut unrealistisches Bild von gelebter Sexualität vermitteln, und versuchen, den / die Partner*in dazu zu motivieren, die gesehenen Szenen nachzuspielen (Liste nach Belieben erweiterbar!)
Das Einhalten obiger Empfehlungen wird Dir sogar die willigste und lustvollste Person der Welt in kürzester Zeit garantiert vom Leib halten!
Literaturhinweise:
BROWN B (2013): Verletzlichkeit macht stark: Wie wir unsere Schutzmechanismen aufgeben und innerlich reich werden. München: Kailashverlag.
FISHER H (2005). Warum wir lieben. Die Chemie der Leidenschaft. Düsseldorf, Zürich: Walterverlag.
GATT-IRO E, GATT S (2015). Unverschämt glücklich. Wien: Goldegg.
GERMER C (2015). Der achtsame Weg zum Selbstmitgefühl. Freiburg: Arbor.
REICH, Wilhelm (1969): Die Funktion des Orgasmus. Köln: Kiepenheuer & Witsch.
SCHNARCH David (2020): Braintalk – wie wir das Gehirn nutzen, um uns selbst und andere besser zu verstehen. München: Kösel.
WOLF Naomi (2013): Vagina – Eine Geschichte der Weiblichkeit. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.
Ich achte und ehre meinen und deinen Raum und meine und deine Grenzen.
Ich bin für meine Gefühle selbst verantwortlich.
Ich kommuniziere ehrlich, liebe- und respektvoll.
Ich sorge liebevoll und wohlwollend für mein emotionales und seelisches Wohlbefinden und meinen Körper.
Ich pflege unsere Beziehung, indem ich meine Themen in meine Verantwortung nehme und nicht Dich dafür verantwortlich mache.
Ich setze mich mit mir und meiner Geschichte auseinander.
Ich bringe mich ganz in unsere (sexuelle) Begegnung ein und mute mich dir mit meiner Lebendigkeit zu.
Ich vertraue darauf, dass du während unserer (intimen) Begegnung gut für dich sorgst und auf dich schaust und mir ehrlich und offen mitteilst, wenn etwas für dich nicht stimmig ist.
Ich gehe erwartungsfrei und ohne Agenda in unsere Begegnung und ermögliche mir und uns dadurch, dass sich der Augenblick entfalten kann.
Alles von dir und mir, das sich zeigen möchte und auftaucht, ist willkommen.